Erdsystemparameter und Bahndynamik

Die Dynamik von Satellitenbahnen wird bestimmt durch konservative (Schwerefeld) und nicht-konservative (Widerstand der Hochatmosphäre, Strahlungsdruck, etc.) Kräfte. Alle Kräfte sind in unserem zentralen „Earth Parameter and Orbit System” Software-Paket EPOS modelliert und parametrisiert. Durch Auswertung von Beobachtungen wie „Doppler Orbitography and Radiopositioning Integrated by Satellite“ (DORIS), „Global Navigation Satellite System“ (GNSS), „Satellite Laser Ranging“ (SLR) und anderen Techniken wie Intersatelliten-Abstandsmessungen auf GRACE oder GRACE-FO können wir mit EPOS im Sinne der Methode der kleinsten Quadrate die uns interessierenden Parameter (Erdorientierungsparameter, Stationskoordinaten, Schwerefeldkoeffizienten, Satellitenbahnparameter, etc.) mit höchster Genauigkeit berechnen und erhalten gleichzeitig hochgenaue Satellitenbahnen. 

Die Ergebnisse stellen wir den IAG-Diensten „International Earth Rotation and Reference Systems Service“ (IERS), „International Laser Ranging Service“ (ILRS) und „International DORIS Service“ (IDS) zur Verfügung und veröffentlichen die berechneten Satellitenbahnen für die wissenschaftlichen Nutzergemeinschaft über das GFZ ISDC. Gleichzeitig bieten wir auch verschiedenen Projektpartnern wie GMV, ESA oder DLR unsere präzisen Satellitenbahnen oder Basislinien zwischen Satelliten im Rahmen von Drittmittelprojekten zur Verfügung. Da EPOS auch einen Simulationsmodus besitzt, können wir die Auswirkungen von künftigen Instrumentierungen auf verschiedenen von der ESA geplanten Satellitenmissionen (z.B. Next Generation Galileo oder GENESIS) auf die geodätischen Zielparameter untersuchen.

Von besonderem Interesse ist für uns das Verfahren der Abstandsmessung mit Satelliten-Laserradar (SLR). Hier stellen wir regelmäßig verschiedene Produkte operationell im Rahmen eines offiziellen SLR-Analysezentrums für den International Laser Ranging Service (ILRS) zur Verfügung und tragen damit auch zur Entwicklung neuer internationaler Koordinatensysteme wie dem „International Terrestrial Reference Frame“ (ITRF) bei. Zusätzlich betreiben wir eine eigene SLR-Station auf dem Telegrafenberg als Teil des weltweiten Netzwerkes des ILRS. 

Ähnlich dem ILRS-Analysezentrum betreiben wir seit einigen Jahren auch ein assoziiertes Analysezentrum für den International Doris Service (IDS). Zur Auswertung von GNSS Radio-Okkultationsdaten für die Verbesserung von Wettervorhersagen bei verschiedenen Europäischen Wetterdiensten betreiben wir seit 2000 für Low Earth Orbiter (LEO) wie CHAMP, GRACE, GRACE-FO, TerraSAR-X oder TanDEM-X eine operationelle 24/7 Rapid Science (RSO) und Near Realtime Orbit (NRT) Bahnbestimmung. 

Für die genannten und verschiedene andere LEOs berechnen wir auch Bahnvorhersagen, die wesentlich zum Erfolg dieser Missionen beitragen, da sie Grundlage für die Planung des Herunterladens von Satellitendaten (z.B. mit Hilfe unserer Satellitenempfangsstation in Ny-Ålesund) oder für die Steuerung von Instrumenten auf Satelliten notwendig sind. Die anspruchsvollste Anwendung ist die Steuerung der SLR-Bodenstationen des ILRS. Für diese ist eine Genauigkeit von ca. 70 m in Bahnrichtung erforderlich, was einer Abweichung von 10 ms von dem Zeitpunkt entspricht, zu dem der Satellit über einer Station sichtbar wird (d.h. der Satellit ist zu früh oder zu spät). Die Genauigkeit der vorhergesagten Bahnen wird ständig überwacht und z.B. mit den erwähnten RSOs verglichen, die als hochgenaue (einige Zentimeter) Referenzbahnen dienen.

Der Lense-Thirring-Effekt, der die Präzession des Bahnknotens eines Partikels, das um eine rotierende Masse fliegt, beschreibt und eine Manifestation des Phänomens der Allgemeinen Relativitätstheorie ist, wurde von uns aus den Knotendriften der LAGEOS- und dem LARES-Satelliten mit Hilfe der GRACE-Schwerefelder mit einer Genauigkeit von ca. 10% gemessen. 

Neben diesen Themen arbeiten wir an einer Reihe von Drittmittel-finanzieren Projekten um z.B. 

  • mit unserer SLR-Station uns an Zeitübertragungsexperimenten  über große Entfernungen zu beteiligen,
  • den Nutzen zukünftiger globaler Satellitennavigationssysteme (NextGNSS), die eine Weiterentwicklung der derzeitigen GPS-, GLONASS-, Galileo- oder Beidou-Konstellationen sein werden, zu untersuchen, damit einige wichtige Ziele des Global Geodetic Observing Systems (GGOS) besser erreichen zu können,
  • routinemäßig hochpräzise Bahnen für die Sentinel-Satelliten des Copernicus -Erdbeobachtungsprogramms der Europäischen Kommission und der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) zu berechnen, oder
  • routinemäßig hochpräzise Basislinienberechnungen zwischen den beiden Radarsatelliten TanDEM-X und TerraSAR-X im Auftrag des DLR durchzuführen.

Literatur

Nachfolgend findet man einige aktuelle Veröffentlichungen der Arbeitsgruppe 3. Die vollständige Literaturliste der Sektion findet sich hier.

Neumayer, K. H., Schreiner, P. A., König, R., Dahle, C., Glaser, S., Mammadaliyev, N., Flechtner, F. (2024 online): EPOS-OC, a Universal Software Tool for Satellite Geodesy at GFZ. - In: (International Association of Geodesy Symposia), Berlin, Heidelberg: Springer.
https://doi.org/10.1007/1345_2024_260

Schreiner, P. A., König, R., Neumayer, K., Reinhold, A. (2023): On precise orbit determination based on DORIS, GPS and SLR using Sentinel-3A/B and -6A and subsequent reference frame determination based on DORIS-only. - Advances in Space Research, 72, 1, 47-64.
https://doi.org/10.1016/j.asr.2023.04.002

Testa, A., Michalak, G., Dassie, M., Neumayer, K., Giorgi, G. (2023): Estimating Satellite Navigation Broadcast Ephemeris via Inter-Satellite and Ground-to-Satellite Ranging. - Engineering proceedings, 54, 1, 15.
https://doi.org/10.3390/ENC2023-15463

König, R., Reinhold, A., Dobslaw, H., Esselborn, S., Neumayer, K., Dill, R., Michalak, A. (2021): On the effect of non-tidal atmospheric and oceanic loading on the orbits of the altimetry satellites ENVISAT, Jason-1 and Jason-2. - Advances in Space Research, 68, 2, 1048-1058.
https://doi.org/10.1016/j.asr.2020.05.047

Glaser, S., Michalak, G., Männel, B., König, R., Neumayer, K., Schuh, H. (2020): Reference system origin and scale realization within the future GNSS constellation "Kepler". - Journal of Geodesy, 94, 117.
https://doi.org/10.1007/s00190-020-01441-0

Glaser, S., König, R., Neumayer, K., Balidakis, K., Schuh, H. (2019): Future SLR station networks in the framework of simulated multi-technique terrestrial reference frames. - Journal of Geodesy, 93, 11, 2275-2291.
https://doi.org/10.1007/s00190-019-01256-8

Glaser, S., König, R., Neumayer, K., Nilsson, T., Heinkelmann, R., Flechtner, F., Schuh, H. (2019): On the impact of local ties on the datum realization of global terrestrial reference frames. - Journal of Geodesy, 93, 5, 655-667.
https://doi.org/10.1007/s00190-018-1189-0

Operationelle Bestimmung von RSO und NRT Orbits

Zur Prozessierung von GNSS Radio-Okkultationsdaten im GNSS Atmospheric Sounding Project (ATMO) sind präzise Bahnen der GPS-Satelliten und der tief fliegenden Empfänger (Low Earth Orbiting, LEO) notwendig. Die Nutzung der Radio-Okkultationsprodukte für die operationelle Wettervorhersage machte es darüber hinaus notwendig, solche Satellitenbahen mit einer Latenzzeit zur Verfügung zu stellen, die so klein wie möglich ist. Am GFZ wurden zwei Systeme zur Orbit-Bestimmung entwickelt, die diesen Anforderungen genügen, und diese werden bis heute betrieben. Das erste, das System zur Bestimmung des so genannten Rapid Science Orbit (RSO), erzeugt präzise Satellitenbahnen mit einem Tag Verzug. Diese werden für Validationen genutzt, die nicht in Echtzeit laufen, und zur Erzeugung des lückenlosen Radio-Okkultations-Produktes (vertikale Profile von Strahlkrümmungs-Winkeln, Temperatur und Luftfeuchtigkeit). Das zweite System zur Bestimmung von Bahnen in nahezu Echtzeit, Near-Real Time (NRT), erzeugt neue Orbits bei jedem Erdumlauf (also etwa alle 1.5 Stunden) mit einer Zeitverzögerung vom 15-30 Minuten. Diese sind erforderlich  für die operationelle Bereitstellung von quasi verzögerungsfreien Radio-Okkultationsprodukten. Die Prozessierungs-Systeme NRT und RSO können gegenwärtig Bahnen für alle GPS-Satelliten erzeugen. Dazu kommen die LEO-Satelliten CHAMP, GRACE A/B, SAC-C, COSMIC 1-6, TerraSAR-X und TanDEM-X. Diese Produkte werden im GFZ Information System and Data Center (ISDC) gespeichert und sind darüber hinaus weltweit allen wissenschaftlichen Anwendern zugänglich.

Rapid Science Orbits

Das System Rapid Science Orbit wurde zunächst im Jahre 2001 für den CHAMP-Satelliten entwickelt. Es diente der Bereitstellung von Orbits im täglichen Rhytmus, und erlaubte die Prozessierung von Radiookkultations-Daten die vom Bordempfänger von CHAMP gesammelt wurden (siehe GPS Radio-Okkultationssystem mit CHAMP). Das RSO-System erzeugt die Satelliten-Orbits aus GPS Daten, wobei die GFZ-eigene Software "Earth Parameter and Orbit System - Orbit Computation" (EPOS-OC) im so genannten "Zwei-Schritt-Verfahren" zum Einsatz kommt. Bei letzterem Verfahren werden, im ersten Schritt, durch Nutzung eines über den ganzen Globus verteilten Netzes von Bodenstationen, GPS-Orbits und Uhrenparameter geschätzt. Im zweiten Schritt fliessen die so gewonnenen GPS-Orbits und Uhren als feste Grössen in eine nachfolgende Ausgleichung von Low Earth Orbiting (LEO) Satelliten ein. Die vom RSO produzierten LEO-Orbits werden durch unabhängige Laser-Entfernungsmessungen (Satellite Laser Ranging, SLR) validiert und habe eine Genauigkeit von ungefähr 5 cm. Das RSO-System wurde im Jahre 2003 um den Satelliten SAC-C erweitert. Danach folgten im Jahre 2004 GRACE-A und GRACE-B um die Prozessierung von Radio-Okkultations-Daten dieser Satelliten zu ermöglichen (GRACE-RO). Dazu kamen dann COSMIC 1-6 im Jahre 2006 (COSMIC-RO), TerraSAR-X im Jahre 2007 (TerraSAR-X RO) und TanDEM-X im Jahre 2010 (TanDEM-X RO). Das RSO-System kann auf einfache Weise für weitere Satellitenmissionen erweitert werden. Um die ununterbrochene Verfügbarkeit von Orbit-Daten zu garantieren, sind zeitweise Eingriffe und Reparaturen "von Hand" notwendig, wenn die Satellitenbahnen, etwa im Falle Datenproblemen oder Qualitätsmängeln, nicht automatisch gerechnet werden können.

Satellitenbahnen in nahezu Echtzeit (Near-Real Time orbits)

Um die Assimilation von Radio-Okkultationsprodukten in den Prozess der Wettervorhersage zu ermöglichen, wurde ein System zur Satelliten-Bahnbestimmung in nahezu Echtzeit für CHAMP und GRACE entwickelt. Im Rahmen des NRT-RO Projektes im BMBF-Programm GEOTECHNOLOGIEN wurde dieses im Juni 2006 operationell. Genau wie bei RSO kommt im NRT-System zur Bestimmung der LEO-Satellitenbahnen das Zwei-Schritt-Verfahren zum Einsatz. Im Unterschied zur Situation beim RSO hängt die Häufigkeit, mit der die NRT-Orbits berechnet werden müssen davon ab, wie oft der Satellit Messdaten zu den Bodenstationen überträgt.
Dieses geschieht etwa einmal pro Umlauf. Sobald der neue Datensatz verfügbar ist, erzeugt das NRT-System einen neuen Orbit. Die Latenz-Zeit dieser Orbits ist sehr klein; sie beträgt etwa 15-30 Minuten, gemessen von der Epoche des letzten Datensatzes, der in die Prozessierung der jeweiligen Bahn einfliesst. Die für das Zweischritt-Verfahren ebenfalls benötigten NRT-Bahnen der GPS-Satelliten werden - davon unabhängig - alle
15 Minuten mit einer Latenz-Zeit von 10 Minuten erzeugt, um bei einem Herunterladen von LEO-Daten jederzeit verfügbar zu sein. Das NRT-System beinhaltet drei Teilsysteme, die sich dadurch unterscheiden, woher man die GPS-Bahnen bekommt
(also entweder im Hause aus Bodendaten gerechnete, als auch bereits fertige, die der Internationale GNSS-Service bereitstellt). Diese Mehrgleisigkeit erhöht die Redundanz und Verlässlichkeit der Orbit-Produkte. Das System lieferte CHAMP-Orbits bis umittelbar zum Ende dieser Mission im Oktober 2010. Für den SAC-C Satelliten wurde es zum Zwecke der Validierung im Zeitraum von November 2010 bis August 2011 aktiv.
Seit August 2006 generiert es in ununterbrochener Folge NRT-Orbits für den Satelliten GRACE-A. Das NRT-System für TerraSAR-X wurde im August 2007 aktiv gemacht (siehe auch TerraSAR-X RO), und für TanDEM-X (TanDEM-X RO) am 24. Juni 2010, drei Tage nach dessen Start. Dies zeigt übrigens, wie einfach ein neuer Satellit in die Prozesskette eingefügt werden kann. Die Genauigkeit der NRT-Orbits hängt vom jeweiligen NRT-Teilsystem ab, und sie liegt im Bereich vom 5-10 cm,
was durch SLR-Messungen nachgewiesen wurde. Das System ist vollständig automatisiert, muss jedoch vom Menschen überwacht und gepflegt werden.


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